Krawattenzwang für Anwälte?
27.01.2016 10:11 AllgemeinÜber die Jahrzehnte (und Jahrhunderte) waren Krawatten ein unverzichtbares Stück Mode. Aktuell haben sie sogar bei vielen Anwälten keinen leichten Stand.
Die Krawatte: Jahrhundertelang hing sie den Männern um den Hals, war modisches Accessoire, Distinktionsmerkmal und manchmal einfach nur Pflichterfüllung. War breit, war schmal, war bunt, war schlicht. Es gibt sie bis heute in geschmackvoll, aber auch in geschmacklos. Der Franzose Honoré de Balzac erhob sie um 1830 zum Symbol der sogenannten besseren Gesellschaft, mit Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte sie sich als weltweit akzeptierte Business-Uniform. Die Studenten der 1960er Jahre zogen sie ebenso an wie die Beatles zu Beginn ihrer Poprevolution. Doch das ist Geschichte und aktuell kämpft die Krawatte erneut um ihre Bedeutung – auch unter Juristen.
Keine Binder im „Valley“
Eine besonders heftige Breitseite feuert das amerikanische Wirtschaftszentrum der Zukunft ab, das Silicon Valley. IT-Größen der ersten Generation wie Steve Jobs von Apple (im Rollkragenpulli) kamen ohne Langbinder aus, so wie auch die Helden der Gegenwart. Durchforsten Sie beispielsweise die Bildersuche von Google mal nach Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im formellen Outfit. Solche Bilder sind die Ausnahme, selbst mit dem zweiten Suchbegriff „Anzug“ tauchen reihenweise Motive mit Kapuzenpulli oder grauem T-Shirt auf.
Die deutsche Wirtschaftselite hat sich jedenfalls von dem IT-Trend beeinflussen lassen. Was an der US-Westküste und unter den hippen Online-Start-ups in München, Berlin oder Hamburg en vogue ist, setzt sich auch bei den Dax-Dampfern durch. Die Krawatte ist kein Machtsymbol mehr: Dieter Zetsche von Daimler – oben ohne, Joe Kaeser von Siemens – zog schon 2014 blank, Volkmar Denner von Bosch – hat den Krawattenzwang im Konzern abgeschafft.
Selbst James Bond zeigt modische Schwächen
Selbst das klassische Role Model James Bond, seit mittlerweile über 50 Jahren das Sinnbild für den modebewussten Mann, taugt derzeit nur bedingt als Leitfigur. Im aktuellen Abenteuer „Spectre“ trägt er beim Ausflug in die Wüste Marokkos seine Strick-Krawatte deutlich kürzer als es die Spielregeln erlauben. Obwohl das Ende an die Gürtelschnalle andocken sollte, reicht es nur bis zum Bauchnabel. Für den dramaturgischen Verlauf der Geschichte spielt das keine Rolle, aber die fast schon päpstliche Unfehlbarkeit außerhalb der Kinoleinwand stellt das dennoch in Frage.
Robe + Krawatte = Standard
Die Anwälte und Juristen der Republik dagegen sind kleidungstechnisch ein Hort der Tradition, aus eigenem Antrieb und durch Vorschriften. Sie springen in die Bresche, um das Ansehen der Krawatte zu retten! Markus Hartung, Vorsitzender des DAV-Berufsrechtsausschusses, berichtet aus der Praxis, an Landgerichten bis auf eine Ausnahme stets nur Kollegen mit Krawatte beobachtet zu haben. Die besondere Note ergibt sich dabei aus § 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA): Hier ist tatsächlich nur die Robe als Berufstracht vor Gericht vorgeschrieben – nicht jedoch das „darunter“.
Dennoch hat sich weitgehend die Krawattenpflicht als Gewohnheitsrecht etabliert. Allerdings werden von den meisten Richtern statt des klassischen weißen Langbinders mittlerweile (dezent) farbige Exemplare toleriert und das Land Baden-Württemberg hat im Sommer 2014 die Krawattenpflicht im „Ländle“ offiziell abgeschafft.
Aus Nordrhein-Westfalen kam jedoch eine andere Attacke auf den anwaltlichen Standard: Ein Berufsträger wollte seine Robe gut lesbar mit seinem Namen (vergleichbar mit dem Trikot eines Fußballers) und, etwas kleiner, mit seiner Website besticken. Die Anwaltskammer zeigte sich jedenfalls wenig erfreut von dieser werblichen Innovation und der Anwaltsgerichtshof des Landes NRW teilte diese Sichtweise (1 AGH 16/15). Übrigens mit Verweis auf § 20 BORA.
Konsequent traditionell entschied übrigens auch das Landgericht Augsburg im Juni 2015, dass Anwälte vor Gericht eine Robe tragen sollten (Az.: 031 O 4554/14). In Berlin dagegen wurde diese Pflicht bereits 2009 abgeschafft.
Freiraum im Büro?
Mehr Freiraum in der Kleidungswahl herrscht dagegen im Büro. Theoretisch. Zwar könnten Anwälte in ihrer eigenen Kanzlei auch alle Freiheiten ausnutzen, doch die Erwartungshaltung der Mandanten an Seriosität spricht mindestens für Anzüge, wenn nicht gar Krawatten. Zumindest sollte ein komplettes Business Outfit im Schrank hängen, falls wider Erwarten an einem terminfreien Tag Gespräche anstehen. Eindeutiger ist die Sache in der Großkanzlei: Hier muss kontinuierlich mit hohem Besuch gerechnet werden, also ist auch jeden Tag das volle Programm Pflicht.
IT- bzw. Start-up-lastige Kanzleien sind jedoch bereits häufig an ihre Klientel angepasst. Da trägt der Anwalt auch mal eine Jeans zum weißen Hemd, wenn er sich mit den Mandanten trifft. Ähnlich schaut es mit den Unternehmensjuristen aus. Hier gilt die Faustformel: Je kleiner das Unternehmen (oder moderner die Branche), desto mehr Freiheiten im Vergleich zu Konzernkollegen der „Old Economy“.
Keine Ausnahme am Ausnahmetag!
Technisch gesehen kann man im Rheinland aber an Altweiber eine Ausnahme von der Krawattenpflicht sehen (für Außenstehende: Das ist der Tag, wenn die Möhnen ab 11.11 Uhr die Macht übernehmen). Eine Folge dieses Machtwechsels besteht bekanntlich darin, dass sich die verkleideten, wildgewordenen Kolleginnen mit Scheren auf die Schlipse ihrer Kollegen stürzen.Wer seine Binder schützen will, zieht an diesem Tag das „Oben ohne“-Programm durch, auch wenn er sonst jeden Arbeitstag wie aus dem sprichwörtlichen Ei gepellt ins Büro kommt.
Das gesamte Team von der AnwVS – es besteht ausschließlich aus echten Rheinländern und gut integrierten Zugezogenen – distanziert sich jedoch ausdrücklich von diesem Ansatz. Jeden Tag Krawatte tragen, nur „zufällig“ an diesem Tag nicht? Das ist keine Option und kann durchaus für Verärgerung sorgen. Wir empfehlen als Ausweichlösung, stattdessen ungeliebte Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke bzw. modisch veraltete Exemplare zu tragen. Das sichert den Spaß der Kollegen und befreit den Kleiderschrank von Ballast…
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