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BGH: Wenn der eine Zivilsenat dem anderen mal so richtig schön…

08:45

Wo ein rauer, direkter Umgangston herrscht, kann man Kollegen oder Vorgesetzten verbal auch mal so richtig schön einen mitgeben. Auf der Baustelle ist das sozialädaquat, so 2010 beispielsweise das LAG Mecklenburg-Vorpommern. Bei sich selbst bevorzugen Richter eine subtilere Note. Der 7. Zivilsenat des BGH hat das mal wieder gezeigt.

Erster Eindruck

Unsere Kollegen von der Deutschen Verrechnungsstelle für das Kfz-Wesen haben in ihrem Blog etwas zu einem BGH-Urteil über die Honorare von Kfz-Sachverständigen  geschrieben. Wir haben uns das Urteil vom 1. Juni 2017 (VII ZR 95/16) einmal angesehen und danach die Hände über die Kopf zusammengeschlagen.

So richtig zitatfähig sind die ersten Gedanken jetzt nicht. Schließlich sind wir auch oft genug in Karlsruhe und man weiß ja nie, ob wir nicht auf der Watchlist der BGH-Pressestelle stehen.

Aber um das Fazit vorweg zu nehmen: Das Urteil fühlt sich so an, als ob der VII. Zivilsenat den Kollegen vom VI. Zivilsenat mit richterlicher Eleganz den Mittelfinger entgegenstreckt.

Zum Einstieg: Der reine Sachverhalt

Fassen wir die Ausgangslage kurz zusammen:

  • ein Unfallgeschädigter sucht sich einen Kfz-Sachverständigen,
  • dieser vereinbart mit dem Geschädigten frei ein Honorar – das Grundhonorar abhängig vom Schaden und die Nebenkosten nach Pauschalbeträgen,
  • die gegnerische Haftpflichtversicherung hält das Honorar für zu hoch und kürzt den Betrag,
  • der Sachverständige holt sich das restliche Honorar von seinem Auftraggeber, dem Unfallgeschädigten,
  • der Unfallgeschädigte holt sich von der Versicherung die durch ihn beglichene Restsumme,
  • die Versicherung redet dem Unfallgeschädigten einen Schadenersatzanspruch wegen eines „überhöhten Honorars“ ein und lässt sich diesen Schadenersatzanspruch abtreten,
  • damit geht die Versicherung vor Gericht,
  • das Amtsgericht gibt der Versicherung recht, das Berufungsgericht dem Kfz-Sachverständigen,
  • mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Versicherung ihr Begehren weiter,
  • in einer abenteuerlichen Entscheidung revidiert der VII. Zivilsenat die Entscheidung des Berufungsgerichts und weist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Mit zehn Aufzählungspunkten haben wir damit in aller Kürze einen Vorgang dargestellt, der sich bislang vom 6. Juni 2011 (der Beauftragung des Kfz-Sachverständigen) bis zum 1. Juni 2017 (der BGH-Entscheidung) zieht.

Gehen wir nun in medias res, warum wir hier die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Geschickt deplatziert – oder: schräg von vorne bis hinten

Es fängt schon damit an, dass der VI. Zivilsenat aus seinem Fachgebiet heraus (zur Erinnerung: Recht der unerlaubten Handlungen) der Spezialist für Verkehrsunfälle ist. In der Folge gehören dazu grundsätzlich auch – Dreiecksverhältnis und so – Mietwagen und Kfz-Sachverständige. Schließlich muss der Geschädigte ja sehr spontan und kurzfristig den Schaden einer unerlaubten Handlung beheben.

Ein schönes – und im Kontext dieses Artikels erst recht passendes – Urteil ist beispielsweise das zur Frage der Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall vom 11. Februar 2014 (VI ZR 225/13). Vereinfachte Kernaussage: Die Kosten fallen an, es geht um Geschwindigkeit, die gegnerische Versicherung hat die Kosten zu tragen.

Grundsätzlich heißt aber auch: Wenn die gegnerische Versicherung dem Geschädigten aber einredet, dass er trotz der ganzen eindeutigen Urteile einen Schadenersatzanspruch wegen eines „überhöhten Honorars“ habe, wenn er den „Anspruch“ abtritt und der auf einmal aus dem Dreiecksverhältnis gelöst ist… Bämm! Dann landet das als ganz normaler Werkvertrag irgendwann beim VII. Zivilsenat (zur Erinnerung: Werkvertragsrecht, Architektenrecht, Zwangsvollstreckungsrecht).

Und da es keine höhere zivilrechtliche Instanz gibt, steht es dem VII. Zivilsenat selbstverständlich zu,

  • die Urteile des VI. Zivilsenats zu ignorieren,
  • sich der Urteile des XII. Zivilsenats (zur Erinnerung: Familienrecht, gewerbliches Mietrecht) zu bedienen, um eine Analogie zu Mietwagen herzustellen,
  • den Kfz-Sachverständigen die Pflicht zur Auskunft über „überdurchschnittliche Honorare“ aufzuerlegen,
  • den Begriff der „ortsüblichen Honorare“ als Maßstab einzuführen,
  • die Auslegung dem Kfz-Sachverständigen zu übertragen, der sich bei Honorartabellen von Verbänden wie dem BVSK oder „Honorarangaben von Großanbietern“ wie DEKRA oder TÜV etwas zusammenstellen muss, und
  • unter dem Strich ein Urteil wider die einheitliche Rechtsprechung zu fällen.

Der Vorhang geschlossen und viele Fragen offen

Mal schauen, was letztlich das Berufungsgericht mit dem BGH-Urteil im Rücken aus dem zurückverwiesenen Sachverhalt machen wird. Aber unabhängig davon sind ein paar Fragen offen:

  • Wenn der VII. Zivilsenat mit einem Urteil gefühlt allen Urteilen des VI. Zivilsenats diametral gegenüberstehen will… warum wird die Frage nicht im Großen Senat geklärt? „Einheitlichkeit der Rechtsprechung“, you know?
  • Warum werden sämtliche Urteile des VI. Zivilsenats geflissentlich ignoriert und ausgerechnet die des XII. Zivilsenats eingebaut? Schließlich ist die Analogie zu Mietwagen an den Haaren herbeigezogen, denn dort sind Aufschläge für Unfallersatzwagen ein feststehender Begriff – Kfz-Sachverständige kennen so etwas nicht.
  • Wieso hat der VII. Zivilsenat mit den „ortsüblichen Honoraren“ ein neues Konfliktfeld aufgemacht, das aufgrund der nichtssagenden Definition mittelfristig Gegenstand von Rechtsstreiten sein wird? Und warum hat er die Honorartabellen von Freiberuflern mit den Sätzen von Ketten (nichts anderes sind DEKRA und TÜV ja irgendwie) in einen Topf geworfen?
  • Schlussendlich: Aus welchem Konstrukt hat der VII. Zivilsenat einen Schaden des Unfallgeschädigten gegenüber seinem Kfz-Sachverständigen herausgelesen? Anders formuliert: Welchen möglichen Schaden konnte der Unfallgeschädigte abtreten, nachdem die Versicherung vollends reguliert hat?

Zusammenfassung

Über das Binnenverhältnis zwischen den einzelnen Senaten können wir nur mutmaßen. Aber wenn man so locker alle Fachurteile des einen Senats ignoriert, nicht passende Urteile eines anderen Senats zitiert und letzten Endes für eine uneinheitliche Rechtsprechung sorgt, weil man auf den großen Senat verzichtet… dann sind wir wieder beim Fazit, das wir weiter oben schon vorweg genommen hatten: Das Urteil fühlt sich so an, als ob der VII. Zivilsenat den Kollegen vom VI. Zivilsenat mit richterlicher Eleganz den Mittelfinger entgegenstreckt.